Meine persönliche Wintergeschichte über das Verwerfen und schichtweise Neu werden
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Im Jänner und Februar waren meine beiden vierbeinigen Kollegen zwei Monate auf in einem anderen Eselstall untergebracht. Eine Vollpension als Einsteller, gute 300 km von zu Hause entfernt. Das hat mir ermöglicht, meinen Arbeitsfokus ganz auf unternehmerische Konzeptionsarbeit zu legen und Auszeit vom Versorgungsalltag zu nehmen.
Ich habe die Wochen zu Jahresbeginn dafür genutzt, intensiv in inner-unternehmerische Prozessarbeit einzutauchen: viele Zettel, leeres Buch, Laptop und Zeichenutensilien … berufliche Selbstverortung und zum Teil neue Weichenstellungen. Konkret hieß das, nicht mehr passende Formate zu verwerfen und gewisse Vorhaben zumindest für den Moment wieder loszulassen. Gar nicht so leicht für mich, die ich ja viel Freude an ganz unterschiedlichen Dingen habe (von der tiefen, eselgestützten Einzelarbeit bis hin zum ausgelassenen Gruppenspiel im Rahmen des Ostercamps …). Es war ein genaues und ehrliches Prüfen meiner Prioritäten und ein Realitätsabgleich mit meiner derzeitigen Lebensphase. (Mama zweier kleiner Kinder; Teilzeitanstellung als Kunstpädagogin; Hauptverantwortliche für die Esel und für unseren kleinen Selbstversorgerstall …) Parallel zum Loslassen habe ich andere Visionen und Konzepte nach vorne gerückt, damit sie in neuen Formaten Gestalt annehmen und auf den Boden gebracht werden können.
Ich empfinde diesen unternehmerischen Gestaltungsprozess als Nachjustieren und Herausschälen: in immer feineren Nuancen bin ich am Weg der authentischen und eigensinnigen Formfindung für mein Wirken.
Aus der intensiven Beschäftigung mit dem mir Gemäßen und für mich Stimmigen im letzten Jahr ist übrigens das Seminar EigenArt entwachsen. Im Zuge der Erfahrungsreise der letzten Monate ist der viel von mir zitierte Eigensinn ein gutes Stück tiefer in mir selbst gelandet.
Es berührt mich, andere Menschen nun aus einer in mir selbst gewachsenen inneren Klarheit und stimmigen Ausrichtung heraus auf ihrem Weg zu mehr Eigensinn – in ihren Beziehungen wie in ihrer Lebensgestaltung – begleiten zu können.
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Die Kutschenfahr-Erfahrung und ihre Folgen
Zurück zur Wintergeschichte und den Geschehnissen vom 3. März:
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Emil und Julo waren am Eselhof von den dortigen Experten in die Welt des Kutschenfahrens eingeführt worden. Vielleicht hast du die Eingliederung in die Herde und ihre ersten Ausfahrten mit erfahrenen Eselkollegen auf Facebook mitverfolgt. Mein Vorhaben war, bei ihrer Abholung zwei Monate später noch ein paar Tage selbst dort zu bleiben und mir unter professioneller Anleitung die Grundlagen dieser mir noch unbekannten Aktivität anzueignen.
Unter Anleitung meiner Fahrlehrerin, die mit ihrem immensen Wissensschatz bereit war, mich zu instruieren, verbrachte ich einen reichhaltigen, wissensreichen und praxisnahen Vormittag zum Thema Kutschenfahren.
Ich war am Vortag angereist und hatte auch alle meine neu entstandenen Arbeitsunterlagen mit dabei. Es fühlte sich an, als würde sich ein Kreis schließen. Mir schien, als hätte ich sämtliche Vorhaben für die vor der Tür stehende Saison fertig ausgebrütet. Mit der Rückkehr der Esel nach Hause sollte es mit Angeboten losgehen. Tataa! Nun nur noch den Newsletter raus und auf geht’s. So der Plan.
Chack, Chacka! Entwurf für den Rundbrief fertig verfasst, Kopf voll mit dem Kutschenwissen vom Vormittag. So ging’s am Nachmittag wieder raus in den winterlichen Hof. Nun zu den Vorbereitungen für meine erste Kutschenausfahrt – Premiere am Kutschbock!
Dann kamen sie, eilig aneinandergereiht: kleinere und größere Unstimmigkeiten und Irritationen, die ich zwar feinspürig bemerkte, aber nicht so ernst nahm, dass ich mich dementsprechend für eine Veränderung eingesetzt hätte.
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Selbstverantwortung nicht abgeben
Der Versuch, möglichst viel in die kurze Praxiszeit zu packen, kombiniert mit meiner Rolle als Schülerin, veranlasste mich dazu, ein gutes Stück aus meiner Selbstverantwortung herauszugehen. Damit einher ging auch ein Stück weit das Zurückziehen aus meiner Beziehungsverantwortung zu den Eseln hin.
Meine inneren Stimmen und Impulse hielt ich klein und passte mich der Situation im Außen an, anstatt die Gegebenheiten aktiv zu verändern und das Geschehen nach meinen Bedürfnissen selbstwirksam mitzugestalten.
Genau dieses Verhalten kenne ich sehr gut von mir. Als Mensch mit feiner Wahrnehmung bin ich bereits oftmals in Not gekommen zwischen dem Kontakt zu dem, was für mich stimmig ist, und der Strategie, mich meiner Umgebung einträchtig und möglichst harmonisch anzupassen.
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Die Konsequenzen
Aufgrund biografischer Vorerfahrungen brachte ich neben aller Neugier auch eine große Portion Respekt vor dem Kutschenfahren mit. Ich hatte ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Langsamkeit und Sicherheit, dem ich jedoch bei weitem nicht ausreichend nachgekommen bin. Ich war bereit, des Ziels wegen mich und meine Esel selbst zu überholen.
Ganz am Ende der Ausfahrt hatten wir einen Unfall: die Kutsche kippte, wir wurden abgeworfen, mein Bein war von den gespannten Fahrleinen umschlungen, und ich wurde ein gutes Stück in vollem Tempo neben der Kutsche nachgeschliffen. In einem kurzen Moment der Verlangsamung konnte ich den Lederriemen um meinen Knöchel lösen und die Esel preschten als menschenloses Gespann zurück zur Straße und verschwanden am Horizont.
Wir hatten Glück im Unglück, nämlich Verletzungen (Prellungen, Schürfungen, gebrochene Rippen), aber in Anbetracht der Möglichkeiten einer solchen Situation überwog die Dankbarkeit, dass es nicht schlimmer ausgegangen war.
Beim Heimkommen – die noch eingespannten Esel hatten sich im Stress beim Stall „eingeparkt“ – war natürlich nicht mehr daran zu denken, dass ich meinen Newsletter aussende und weitermache wie geplant. Der Unfall hatte mich gehörig aus der Bahn geworfen!
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Klar für sich einstehen
Die Geschehnisse dieses Nachmittags haben mir in vehementer Wucht die Bedeutsamkeit erfahren lassen, wie essentiell wichtig es ist, mich anderen mit meinen Bedürfnissen zuzumuten und klar für mich einzustehen.
Ich weiß jetzt in eindrücklicher Deutlichkeit, dass ich unabhängig von meiner Rolle, z.B. auch als „Schülerin“, IMMER meine Selbstverantwortung einnehmen und selbstwirksam für mich einstehen will.
Und dass mein „mich selbst unter andere stellen“ (wie in diesem Fall als Lernende unter die viel erfahrene Kutschenlehrerin) fatale Folgen haben kann.
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Die Zeit danach – eine Phase des Innehaltens
Für mich war dieses Erlebnis tief erschütternd und als solches zugleich sehr bedeutsam. Es war der Beginn einer krisenhaften Zeit. Ich fuhr die 300 km mit den Eseln nach Hause und wurde dann eine Woche später krank. Hohes Fieber über zwei Wochen und danach anhaltende Fieberschübe und wochenlange Erschöpfung. Der Saisonbeginn wurde bedeutungslos, und ich war mit tiefen Fragen und inneren Prozessen ganz auf mich zurückgeworfen.
Es hatte mich rausgehaut aus dem Funktionieren, aus dem Erdenken, aus dem Planen und Wollen. Eine herausfordernde Zeit, in der mein System viel Zeit und stillen Raum hatte, um Ängsten und altem Schmerz zu begegnen, in mich hineinzulauschen, zu forschen und zu spüren.
Eine meiner Lieblingsfragen – ‚Wofür ist das eine Gelegenheit?‘ (WIDEG), von Viktor Frankl – konnte auf vielen Ebenen in mir wirken.
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Neues entsteht
Mit viel Behutsamkeit und achtsamem Hinspüren kehrte ich nach und nach aus dem Ausnahmezustand zurück. Es fühlte sich tatsächlich so an, als hätte mich das Leben einmal rausgenommen, und als kehrte ich Schritt für Schritt von einer Reise zurück.
Irgendwas in mir war neu geworden im Zuge all dieser tiefgreifenden Erfahrungen.
Geschmeidig fügen sich seitdem wieder erste, inhaltlich sehr stimmige neue Anfragen. Die Schritte, die ich unternehmerisch setze, fühlen sich echt an und nicht nur geplant.
Ein wunderbar kräftigendes Seminar zur Wutkraft und ein inspirierendes 6-wöchiges Online-Training zum Thema Sichtbarkeit haben mich zum Abschluss dieser intensiven Übergangszeit gestärkt und innerlich noch klarer ausgerichtet.
Alles neu macht der Mai … Jetzt bin ich da, schaue aus dem großen Fenster meines Wagens und freue mich, diese lange Erzählung abzuschließen.
Es ist wie das Ende eines Kapitels, in dem das nächste wurzelt und schon gedeiht. Der Moment des Schreibens ist wie ein Innehalten, eine Pause am Weg. Eine Rückschau und Vorschau zugleich. Mich spüren, wie ich hier bin, deutlich verbunden mit dem Warum für mein Wirken.
In meiner Vorstellung, dass du bis hierher gelesen hast, bin ich berührt und dankbar für dein Interesse an meinem Weg!
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Abschließend möchte ich meine Freude mit dir teilen, dass ich nach dieser zähen Zeit heute meine Ausrichtung und meinen Eigensinn in dieser neuen Weise spüren und aus der in mir gewachsenen inneren Klarheit auch andere Menschen auf ihrem Weg begleiten darf.